Corona-Impfung für Kinder: Was passiert bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern?
01.09.2021

Erste Studienergebnisse bei Heranwachsenden zwischen 12 und 15 Jahren belegen, dass der Biontech-Impfstoff vollständig vor einer Covid-Erkrankung mit Symptomen schützen soll. In Kanada und den USA ist der Impfstoff bereits zugelassen und die EU wird voraussichtlich im Juni nachziehen.

Die Eltern werden mit den Fragen konfrontiert: Soll man das Kind impfen lassen, sobald es erlaubt ist? Soll man sich gar für eine priorisierte Impfung einsetzen? Immerhin sind die Kinder nach derzeitiger Erkenntnis am wenigsten gefährdet, aber mit am stärksten getroffen von der Pandemie. Was gilt eigentlich, wenn die Eltern unterschiedlicher Meinung sind und sich nicht einigen können?

Zumindest letzteres kann recht klar beantwortet werden. Die Impf-Frage ist für das Kind eine Regelung von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB. Das Familiengericht kann auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen.

Der Bundesgerichtshof (Beschl. v. 3.5.2017, XII ZB 157/16) hatte in der Vergangenheit auch bereits die Gelegenheit zu klären, welchem Elternteil die Entscheidung zu übertragen ist. Das oberste Gericht gibt zu Schutzimpfungen vor: Im Sinne des Kindeswohls kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil übertragen werden, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (Stiko) befürwortet; jedenfalls dann, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.

Bezogen auf die Schutzimpfungen teilen auch die Oberlandesgerichte Koblenz (Beschluss v. 18.4.2018, 9 UF 77/18) und Frankfurt am Main (Beschluss v. 8.3.2021, 6 UF3/21) diese Einschätzung.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz aus dem Jahr 2018 ist in Bezug auf die Corona-Impfung auch deshalb interessant, da das Gericht bei der Abwägung der Interessen zugunsten des Kindeswohls unter anderem auch darauf abstellt, dass ohne die Impfung „neben der Gesundheit des Kindes auch der Kontakt insbesondere zu dem Geschwisterkind und damit der frühzeitige Aufbau einer geschwisterlichen Beziehung zu diesem gefährdet ist.“ Der wiederverheiratete Vater und seine neue Ehefrau lehnten für das Gericht aus nachvollziehbaren, im gesundheitlichen Interesse des Geschwisterkindes (Säugling) liegenden Gründen einen Kontakt ab; jedenfalls solange das Kind nicht geimpft ist. Infolge der fehlenden Impfung, so der Senat, „wird der berechtigte Wunsch des Kindes, seinen Vater und dessen Familie besuchen zu können, vereitelt.“ Mangels individueller Impfrisiken ging der Senat schlussendlich davon aus, dass die Folgen des eingeschränkten Umgangs mit dem Vater oder dem Geschwisterchen für das Kind das größere Entwicklungsrisiko darstellt als die vom Stiko empfohlene Impfung.

Übertragen auf die derzeitige Pandemielage und die anstehenden Fragen zur Impfung von Kindern könnte vergleichbar argumentierte werden, dass im Falle von Kontakt- oder Zugangsbeschränkungen für Kinder ohne Impfung, beispielsweise zum Präsenzunterricht in der Schule, zum Kindergarten oder einer Freizeiteinrichtung, im Interesse des Kindeswohls eher zugunsten des impfwilligen Elternteils zu entscheiden ist. Denn mit der Immunisierung rückt etwa ein normalisierter Schulbetrieb in Reichweite, der der Entwicklung des Kindes förderlich ist.

Letztlich wird aber abzuwarten sein, ob die von der Stiko vorzunehmende Abwägung ergibt, dass der Nutzen der Impfung die Risiken für das Kind tatsächlich überwiegt; also, ob überhaupt eine Empfehlung für Heranwachsende ausgesprochen wird.

Nachtrag vom 30.08.2021:
Die STIKO hat am 16.08.2021 ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisiert und spricht nunmehr eine Impfempfehlung für alle 12- bis 17-Jährigen aus.
Erwartungsgemäß und folgerichtig hat zudem das OLG Frankfurt am Main mit Beschluss vom 17.08.2021 - 6 UF 120/21 zur Corona-Schutzimpfung entschieden, dass bei Uneinigkeit der Eltern über Durchführung einer Corona-Schutzimpfung des impfbereiten Kindes die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den der Empfehlung der STIKO vertrauenden Elternteil erfolgt. Es stellt dabei klar, dass es auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit eines fast 16-jährigen Kindes eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern bedarf. Können diese sich aber in der Frage zur Impfung nicht einigen, ist die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Schutzimpfung mit einem mRNA-Impfstoff bei einer vorhandenen Empfehlung durch die STIKO und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf den Elternteil zu übertragen, der die Impfung gleichfalls befürwortet.