Flexible Vergütungsgestaltung in Arbeitsverträgen:
vom langsamen Sterben der Freiwilligkeit
I. Einleitung:
Es gab eine Zeit, da konnten Arbeitgeber zu Weihnachten dem Arbeitnehmer eine Geldzuwen-dung zukommen lassen, ohne sich für immer zu verpflichten, jedes Jahr zu zahlen, selbst wenn der Arbeitnehmer während des Jahres keine Leistung erbrachte oder in anderer Weise übel auffiel. Das ist lange her, weil das Bundesarbeitsgericht Schritt für Schritt die Freiwilligkeit ein-schränkt und damit in der Konsequenz vernünftige Steuerungselemente verhindert. Vertrags-formulierungen, die einst einfach zu gestalten waren, werden zum juristischen Himmelsfahrts-kommando.
Im Einzelnen:
II. Der Ursprung:
Einst wurde zu Weihnachten ein gutes Jahr gewürdigt und dem Arbeitnehmer eine Belohnung zukommen lassen. Da dies nach Gutsherrenart roch, wurde als erstes von der Rechtsprechung – nicht etwa vom an sich zuständigen Gesetzgeber - die betriebliche Übung erfunden. Getreu dem Motto: „3mal ist Bremer Recht“ saß der Arbeitgeber in der Falle, wenn er in drei aufeinander folgenden Jahren Weihnachtsgeld zahlte, ohne auf die Freiwilligkeit hinzuweisen, wofür er auch noch beweisbelastet war. Als schwacher Trost wurde später ergänzt, dass die Suche auch rückwärts geht, d.h. wenn der Arbeitnehmer in drei aufeinander folgenden Jahren dem Freiwilligkeitsvorbehalt nicht widersprach, war er Bestandteil der vertraglichen Vereinba-rung.
Um keine betriebliche Übung entstehen zu lassen, musste wohl oder übel jedes Jahr auf den Freiwilligkeitscharakter hingewiesen werden. Man konnte sich die Sache erleichtern, indem man die Freiwilligkeit direkt in den Vertrag schrieb, da nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes von dem Arbeitgeber nicht zu verlangen sei, sich ständig zu wiederholen (BAG 30.07.2008, 10 AZR 606/07).
III. Die Weiterentwicklung:
Alle waren zufrieden: Entweder stand die Freiwilligkeit im Vertrag oder der Arbeitgeber verwies jedes Jahr schriftlich auf den Charakter der Freiwilligkeit. Jeder wusste Bescheid. Bis das Bun-desarbeitsgericht meinte, ein verständiger Arbeitnehmer verstehe das nicht, dass ihm einerseits etwas versprochen wird und im gleichen Vertrag durch die Freiwilligkeit wieder entzogen wird (BAG 10.12.2008, 10 AZR 1/08). Konkrete Zusage und Freiwilligkeit durften ab dann nicht mehr in den gleichen Vertrag. Es bleibt nur die Zusage.
Die bis dahin häufig verwendeten Formulierungen, man zahle ein 13. Gehalt oder ein bezif-fertes Weihnachtsgeld und dies freiwillig und ohne Bindungswillen für die Zukunft, war un-brauchbar geworden. Das Bundesarbeitsgericht meinte wohl, der „verständige“ Arbeitnehmer lese nur den ersten Teil und sei dann von dem zweiten Teil völlig überrascht. Diese Betrach-tungsweise kommentiert sich von selbst.
Das nächste war die Beschränkung der Sonderzahlung bei einer Eigenkündigung des Ar-beitnehmers. Die Vorenthaltung einer bereits verdienten Arbeitsvergütung sei unangemessen, wenn diese davon abhängig gemacht wird, dass das Arbeitsverhältnis außerhalb des Bezugs-zeitraumes vom Arbeitnehmer gekündigt wird (BAG 12.04.2011, 1 AZR 412/09).
Die AGB-Kontrolle (Überprüfung von Vertragsklauseln, die der vermeintlich stärkere Ver-tragspartner vorgibt nach den Regeln des Gesetzes zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen) zog zur Jahrtausendwende in die Welt des Arbeitsrechtes ein und wirkt bis heute unentwegt nach.
III. Der aktuelle Stand:
Der aktuelle Stand orientiert sich an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 14.09.2011 (10 AZR 526/10).
Der Leitsatz lautet: „Ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt, der alle zukünftigen Leistungen unabhängig von ihrer Art und ihrem Entstehungsgrund erfasst, benachteiligt den Arbeitnehmer regelmäßig unangemessen und ist deshalb unwirksam“.
Im ersten Schritt wurde die gängige Formulierung „freiwillig und jederzeit widerruflich“ kassiert, weil Freiwilligkeit und Widerruflichkeit nicht das Gleiche seien und damit eine Intransparenz gegeben sei. Beides darf nicht miteinander verknüpft werden.
Entscheidender ist jedoch, dass nunmehr im Voraus klargestellt werden muss, dass die Freiwilligkeit nur für Sonderzahlungen gilt und nicht für andere Lohnbestandteile.
Zu guter Letzt muss klargestellt werden, dass Individualvereinbarungen Vorrang haben.
IV. Fazit:
Ein Arbeitgeber, der nicht von sinnlosem Übermut getrieben ist, wird zukünftig gar nichts mehr in Verträge zum Thema „Sonderzahlung“ schreiben und bestenfalls am Jahresende eine Sonderzahlung tatsächlich leisten und sich die Freiwilligkeit individuell quittieren lassen.
Wer trotzdem etwas im Vertrag stehen haben will, dem sei ohne Gewähr für die Zukunft folgende Formulierung empfohlen:
„Sonderzahlungen erfolgen stets freiwillig und begründen keinen Anspruch für die Zukunft. Davon werden keine laufenden Leistungen erfasst und Individualabreden bleiben un-berührt“.
Bei beiden Ansätzen sollte allerdings nicht vergessen werden, dass durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nur in engen Grenzen Arbeitnehmer unterschiedlich behandelt werden dürfen. Aber das ist ein anderes Thema.
V. Exkurs:
Auch die „Freiwilligkeit“ von Überstunden ist weitestgehend dahin. Vereinbarungen im Arbeits-vertrag, wonach die Vergütung geleistete Überstunden mit beinhaltet, sind unwirksam, soweit die Überstunden nicht konkret quantifiziert (Anzahl der Stunden) werden (BAG 22.02.2012, 5 AZR 765/10).
Machbar sind z.B. „die ersten 20 Überstunden“ (BAG 16.05.2012, 5 AZR 441/11) oder die nach dem Gesetz vorgesehenen max. 2 Stunden täglich, wobei selbstverständlich die Ausgleichsfrist des § 3 I ArbZG (innerhalb von 6 Monaten im Durchschnitt max. 8 Stunden pro Tag) beachtet werden muss.
Aber auch hier ist mit ständig neuen Betrachtungen und Reglementierungen zu rechnen.
F.W. Dittmann
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht