Die krankheitsbedingte Kündigung
- Der Faktor Krankheit im betrieblichen Alltag -

Laut statistischem Bundesamt waren Arbeitnehmer in 2017 durchschnittlich an 17,2 Tagenarbeitsunfähig erkrankt und damit deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Bei Beamten im einfachen Dienst waren es sogar31,6 Tage. Der Produktionsausfallbelief sich auf ca.75 Milliarden Euro. Die Entwicklung wurde auch nicht durch nachhaltige Bemühungen der betrieblichen Gesundheitsvorsorge aufgehalten. Es ist auch nicht wegzudiskutieren, dass mit der Vollbeschäftigung, eine wachsende Arbeitsunfähigkeit einhergeht.

Damit sind die Betriebe gezwungen, in Einzelfällen zu reagieren und krankheitsbedingte Kündigungen auszusprechen, um eine ausgewogene Organisationsstruktur zu erhalten. Die Arbeitsgerichtsbarkeit macht es ihr dabei gewiss nicht leicht, sodass von Anfang an Experten einbezogen werden sollten.

In einer Vielzahl von Entscheidungen hat sich das Bundesarbeitsgericht mit den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung auseinandergesetzt und diese festgeschrieben. Dabei geht die Rechtsprechung von den 4 maßgeblichen "Säulen" der krankheitsbedingten Kündigung aus:

  • Eine negative Zukunftsprognose wegen lang anhaltender Krankheit oder einer Vielzahl von Kurzzeiterkrankungen
  • Eine auf der Prognose beruhende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
  • Die Interessenabwägung, die ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Unternehmens führt
  • Das betriebliches Eingliederungsmanagement

Im Einzelnen:

I.Negative Zukunftsprognose

Um eine negative Zukunftsprognose zu stellen, muss zunächst der Ist-Zustand definiert werden. D.h. es muss eine lang anhaltende Krankheit vorliegen, wobei das Gesetz ebenso wenig eine zeitliche Aussage trifft, wie die Rechtsprechung. In der Regel darf allerdings bei einer Erkrankung von 1 ½ bis 2 Jahren von einer lang anhaltenden Krankheit ausgegangen werden. Bei der Vielzahl von Kurzerkrankungen hilft die gedankliche Anwendung der 6-Wochen-Entgeltfortzahlungspflicht. D.h. wenn über einen Zeitraum von wenigstens 3 Jahren in jedem Jahr die 6 Wochen (ca. 30 Tage) Entgeltfortzahlungspflicht eingetreten ist, kann man von einer Vielzahl von Kurzzeiterkrankungen ausgehen.

Liegt eine der beiden Voraussetzungen vor (lang anhaltende Krankheit / Vielzahl Kurzzeiterkrankungen), muss die Zukunftsprognose erfolgen. Die negative Zukunftsprognose liegt vor, wenn bei einer Langzeiterkrankung die Wiedergenesung in absehbarer Zeit nicht sichergestellt ist. Bei einer Vielzahl von Kurzerkrankungen liegt eine negative Zukunftsprognose vor, wenn auch in Zukunft mit solchen Arbeitsausfällen regelmäßig gerechnet werden muss.

Um seinem Sachvortrag im Prozess zu genügen, muss der Arbeitgeber versuchen, so viel wie möglich über die Gesundheitssituation des Arbeitnehmers herauszufinden, was angesichts der Schweigepflicht der Ärzte zwangsläufig mit Schwierigkeiten verbunden ist. Insofern muss versucht werden, den Arbeitnehmer zu befragen und je weniger die Auskunft ergibt, umso geringere Anforderungen sind an den Sachvortrag des Arbeitgebers zu stellen. Hier muss es zunächst genügen, dass der Arbeitgeber einen bestimmten Verlauf darstellt. Der Arbeitnehmer muss sodann aus seiner Sicht unter Darlegung der Fakten erläutern, warum mit seiner dauerhaften Genesung gerechnet werden kann.

II.Betriebliche Beeinträchtigung

Für die Darstellung der erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung gibt es 2 Ansatzpunkte:

  • Betriebsablaufstörungen
  • wirtschaftliche Beeinträchtigungen

Zu den betrieblichen Beeinträchtigungen zählen Störungen des technischen oder organisatorischen Betriebsablaufes, wie Stillstand von Maschinen, Überlastung der Arbeitskollegen, Rückgang im Dienstleistungsgewerbe, etc.

Diese erheblichen Störungen dürfen sich nicht durch wenige einschneidende Mittel, wie die Umsetzung auf einen anderen verfügbaren und leidensgerechten Arbeitsplatz oder Überbrückungsmaßnahmen, wie die Einstellung einer Ersatzkraft ausräumen lassen. Zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der Arbeitgeberinteressen gehören erhebliche Lohnfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen, Kosten für Ersatzkräfte, Überstundenzuschläge oder Produktionsausfallkosten.

Die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wegen den Lohnfortzahlungskosten sind deshalb wichtig, weil diese für sich allein bereits eine betriebliche Beeinträchtigung darstellen können, ohne dass Betriebsablaufstörungen dargestellt werden müssen.

In keinem Fall reicht es aus, eine abstrakte Gefährdung darzustellen. Der Vortrag muss konkret sein.

Bei einem Langzeiterkrankten muss auch überprüft werden, ob durch die befristete Einstellung eines Mitarbeiters die Ausfallzeit überbrückt werden kann. Die 24 Monate, auf die ein Arbeitsverhältnis nach den heutigen gesetzlichen Grundlagen befristet werden kann, sind im Rahmen der Rechtsprechung ein wichtiger Anhaltspunkt geworden.

III.Interessenabwägung

Die betrieblichen Beeinträchtigungen müssen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Es hat eine Interessenabwägung mit den persönlichen Belangen des Arbeitnehmers stattzufinden.

Der Arbeitgeber hat Gesichtspunkte, wie die erhebliche Beschäftigungsdauer, die schlechten Arbeitsmarktchancen oder den Umstand, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der beruflichen Tätigkeit beruhen, zu berücksichtigen.

Diese Kriterien sind den Interessen des geordneten Betriebsablaufes gegenüberzustellen und abzuwägen.

Sowohl im Rahmen der Prüfung der Betriebsbeeinträchtigung, als auch im Interessenausgleich ist ergänzend zu prüfen, ob ein so genannter leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Arbeitgeber muss daher überprüfen, ob ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, an dem der Arbeitnehmer seine Beschäftigung ohne die Beeinträchtigungen ausführen kann. Hierbei ist es wichtig, dass keine Verpflichtung besteht, einen Arbeitsplatz freizukündigen, allerdings ist von Umsetzungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Eine Besetzung mit einer höherwertigen Tätigkeit ist nicht vorgegeben, so dass sich die Prüfung des Arbeitgebers auf gleichwertigere oder geringwertigere Arbeitsplätze begrenzt.

VI.BEM

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist, aufgrund einer Novellierung des neunten Sozialgesetzbuches, ab dem 01.01.2018 in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX festgeschrieben. Bis zum 31.12.2017 fand sich die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Beteiligte in dem Verfahren sind Arbeitgeber, Arbeitnehmer sowie die Personalvertretung und, soweit vorhanden, auch der Betriebsarzt und die Schwerbehindertenvertretung.

Das Gesetz sieht keinen konkreten Ablauf vor. Vielmehr ist der Arbeitgeber angehalten, bei Vorliegen der Voraussetzung mit dem Arbeitnehmer ein erstes Informationsgespräch durchzuführen. Dabei ist in erster Linie auf die Zustimmung des Arbeitnehmers zum BEM hinzuwirken und auf dessen Ziel und Zweck konkret einzugehen.

Das BEM stellt im Wesentlichen eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung im Rahmen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dar.

Eine konkrete Durchführungspflicht sieht das Gesetz nicht vor, dennoch stellt § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keinen bloßen Programmsatz dar, weshalb eine Missachtung dieser Vorschrift zu erheblichen Konsequenzen führen kann.

Das betrifft in erster Linie die krankheitsbedingte Kündigung. Wird kein BEM durchgeführt, kommt dem Arbeitgeber in einem möglichen Kündigungsschutzprozess eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast zu. Diese umfasst im Wesentlichen die Frage zur betrieblichen Auswirkung der krankheitsbedingten Fehlzeiten. Ferner kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, dass keine Alternativen im Betrieb vorhanden sind, vielmehr muss er konkret darstellen, dass ein BEM kein Sinn gemacht hätte und tatsächlich keine Alternativen vorhanden waren.

Es macht daher durchaus Sinn, in der Praxis zumindest durch Gespräche mit dem Arbeitnehmer, insbesondere nach Erkrankungen, zu klären, inwieweit seitens des Betriebes positiv auf die Entwicklung eingewirkt werden kann.

V. Dauernde Leistungsunfähigkeit

Ein Sonderfall liegt vor, wenn eine objektiv dauerhafte Leistungsunfähigkeit vorliegt.Bei einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit kommt es weder auf eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Belange an, noch auf einen Interessenausgleich, da in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen ist.

Eine dauernde Leistungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Gegebenheiten dauerhaft außerstande ist, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Von besonderer Bedeutung ist dabei auch die aktuelle Rechtsprechung, wonach die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit gleichsteht, wenn in den nächsten ggf. 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang ist der Arbeitnehmer dafür beweispflichtig, dass zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung mit einer Wiederherstellung in absehbarer Zeit gerechnet werden musste.

VI. Prozessarbeitsverhältnis

Soweit man bei Vorbereitung und Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung alle Vorgaben sorgfältig beachtet, bestehen durchaus gute Erfolgsaussichten bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Als sehr hilfreich zur Risikodezimierung hat sich das Prozessarbeitsverhältnis erwiesen, d.h., man bietet dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses an. Damit besteht kein Risiko auf Zahlung ohne Gegenleistung und der weitere Krankheitsverlauf ist für die Prognose wichtig.Damit lassen sich regelmäßig auch hohe Abfindungszahlungen vermeiden.

Wegen der Komplexität der Probleme macht ein frühzeitiges Einbeziehen eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht durchaus Sinn.